Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat den ehemaligen Justizsenator Dr. Roger Kusch wegen Totschlags in zwei Fällen angeklagt. Die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft vom 12.05.2014 findet sich hier.
Roger Kusch soll als Vorsitzender eines Vereins für „Sterbehilfe“ gemeinsam mit einem mitangeklagten Mediziner am Tod zweier älterer Damen mitgewirkt haben. Angeblich hätten die Angeschuldigten – so heißen Angeklagte in der Sprache der StPO bevor das Gericht die Anklage zugelassen hat – einen Präzedenzfall der Sterbebegleitung in Deutschland schaffen wollen. Das scheint gründlich schief gegangen zu sein.
Denn mit einer Anklage wegen Totschlags (Mindesstrafandrohung: Fünf Jahre Freiheitsstrafe) hatte wohl niemand gerechnet. Die von der Staatsanwaltschaft Hamburg gewählte Konstruktion ist wagemutig und manchem Nichtjuristen sicherlich kaum mehr verständlich zu machen: Angeklagt ist Totschlag in mittelbarer Täterschaft, also keine eigenhändige Tat, sondern die fremdgesteuerte Tat eines Dritten. Dieser Dritte sollen die Opfer selbst gewesen sein. Fremdgesteuert seien die Opfer gewesen, weil die Angeschuldigten sie im Unklaren über die Auswirkungen ihres Tuns gelassen hätten. Der Bundesgerichtshof hat hierfür vor längerer Zeit den schönen Begriff der „Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens“ geschaffen.
Jeder Jurastudent kennt diese Konstruktion in Form eines einzigen bekannt gewordenen Falles aus den fünfziger Jahren, dem so genannten „Katzenkönig“-Fall. Der Fall ist so skurril, dass er sogar einen eigenen Wikipediaeintrag hat. Lesen lohnt sich! Aus der jetzigen Juristengeneration dürfte es allerdings niemanden geben, der einen vergleichbaren Fall schon einmal erlebt hat. Jetzt ist es vielleicht wieder soweit.
Ob das Konstrukt der Staatsanwaltschaft da allerdings wirklich passt, mag man bezweifeln. Vorweg mal eines: Mit Sterbehilfe hat das ganze recht wenig zu tun. Das, was üblicherweise unter dem Begriff „Sterbehilfe“ diskutiert wird, ist etwas völlig anderes. Bei der Sterbehilfe-Diskussion geht es regelmäßig um die Frage, inwieweit man totgeweihten Schwerstkranken den Wunsch nach dem Tod erfüllen darf; sei es aktiv – das ist verboten – sei es passiv. Passive Sterbehilfe ist dabei unter Umständen erlaubt, soweit sie vom freien Willen der Betroffenen gedeckt ist.
Darum geht es im aktuellen Fall aber eben nicht, denn von Totkranken ist hier nirgends die Rede. Stattdessen geht es um zwei angeblich „geistig und körperlich rege“ ältere Damen, die „sozial gut eingebunden“ gewesen seien, gleichwohl aber nicht mehr so recht hatten leben wollten. Darf man denen bei der Selbstötung helfen?
An dieser Stelle könnte man eine ethische Diskussion starten, denn rechtlich ist es so: Selbstötung ist straffrei. Bei vollendeter Tat ist der Täter tot. Die Straffreiheit der Selbsttötung führt nach der strafrechtlichen Dogmatik aber zwingend dazu, dass auch die Beihilfe zur Selbsttötung straflos sein muss. Wo es keine Hauptat gibt, kann es auch keine Beihilfe geben. Eigentlich ganz einfach.
Deshalb muss die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage auf die wacklige Konstruktion der mittelbaren Täterschaft zurückgreifen. Die setzt aber voraus, dass das Opfer ein „Werkzeug“ war, „willenlos“. Hier liegt das eigentliche und einzige Problem des Falles, dessen Lösung Sterbewilligen aller Couleur keinen Deut weiterhelfen wird. Die Frage, die dahintersteckt, ist nämlich: Waren die beiden „Opfer“ wirklich sterbewillig? War ihre Entscheidung „wohlerwogen“? Wann ist eine Entscheidung zur Selbsttötung überhaupt wohlerwogen? Das wird das Schwurgericht in Rahmen einer Beweisaufnahme zu klären haben. Ob und wie es das tun wird, bleibt abzuwarten.
Die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift scheint es sich einfach zu machen: Sie behauptet, die Angeschuldigten hätten den „Opfern*“ suggeriert, dass deren Entscheidung „durchdacht und ohne Alternative“ wäre. Da wird die Staatsanwaltschaft dem Schwurgericht erklären müssen, was ihrer Ansicht nach die nicht durchdachte Alternative zur Selbsttötung gewesen sein soll. Als Alternative zum Tod kommt ja eigentlich nur das Leben in Betracht. Aber welchen Irrtum über das Leben sollen die „Opfer“ hier unterlegen gewesen sein? Dass das Leben doch viel schöner ist als gedacht? Das Alter doch nicht so schlimm? Dieser Fall wird uns möglicherweise ein Urteil bescheren, dessen Auswirkungen noch niemand ermessen kann und die keiner gewollt haben kann.
Nutzen dürfte das Urteil niemandem, insbesondere nicht den Schwerstkranken in den Krankenhäusern, Hospizen und Pflegestationen.