Müssen Fußballfans Verbandsstrafen zahlen?

TTotschlag oder Sterbehilfe?Einleitung

Beim DFB-Pokalspiel der Saison 2014/2015 zwischen dem Hamburger Sport Verein und dem FC Bayern München lief in der zweiten Halbzeit ein HSV-Anhänger auf das Spielfeld und belästigte Frank Ribery (Bayern München) mit einem Fanschal. Der DFB belegte den HSV dafür mit einer Verbandsstrafe von EUR 40.000,00. Der HSV erwägt nach Presseberichten, sich dieses Geld bei seinem Anhänger zurück zu holen. Geht das?

Diese Frage stellt sich regelmäßig, wenn der DFB derartige Geldstrafen gegen Vereine verhängt. Ich benutze das Wort „Verein“ hier der Einfachheit halber, auch wenn es sich bei den meisten Lizenzmannschaften mittlerweile um Kapitalgesellschaften handelt. Was also droht Anhängern, deren Verhalten zu einer Strafe für den Verein geführt hat?

Empfehlung des DFB

Der DFB empfiehlt den Vereinen inzwischen sogar, gegen solche Anhänger zivilrechtlich vorzugehen. Bei einem Gastvortrag an der Universität Köln soll DFB-Vizepräsident Rainer Koch dies laut ZEIT ONLINE ausdrücklich bekräftigt haben. Die Rechtslage ist allerdings deutlich komplizierter als der DFB sich das wohl vorstellt.

Rechtslage

Bevor wir zur Rechtslage kommen, eines vorweg: Es gibt keine eindeutige Lösung. Es gibt auch noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Thema. Es gibt viele Meinungen. Das macht einen Rechtsstreit für beide Seiten riskant, für den betroffenen Fan aber auch chancenreich. Wer es wagt, sich gegen die Inanspruchnahme durch einen Verein zu wehren, hat viele Möglichkeiten. Keinesfalls sollte man die Forderung des Vereins ohne weiteres akzeptieren.

Will ein Verein – in unserem Beispiel der HSV – seinen Anhänger in Anspruch nehmen, kann dieser Anspruch entweder auf deliktischem Verhalten (z. B. einer Straftat) oder auf Vertrag beruhen. Welche Anspruchsgrundlage im Einzelfall greift, hängt von den näheren Umständen des Einzelfalls ab. Hierauf will ich an dieser Stelle zunächst nicht eingehen. Das eigentliche Problem liegt nämlich woanders.

Zunächst einmal muss der DFB gegen den Verein wegen des Fehlverhaltens eines Fans eine Geldstrafe verhängt haben, in unserem Beispiel 40.000 Euro. Da geht der Streit schon los. Der Gießener Rechtsprofessor Wolf-Dietrich Walker ist nämlich der Auffassung, das dürfe der DFB gar nicht. Dessen Auffassung ist ausgesprochen wissenschaftlich, aber gar nicht so abwegig. Für Interessierte stelle ich die Auffassung gerafft dar:

Verschuldensprinzip vs. Verbandsautonomie

Im Rechtsstaat gilt grundsätzlich das so genannte Verschuldensprinzip, d. h., man kann nur für etwas bestraft werden, das man selbst verschuldet hat. Für Lateiner: Nulla poena sine culpa („Keine Strafe ohne Schuld“).  Von diesem Grundsatz gibt es zwar auch im Rechtsstaat Ausnahmen, aber die sind vielleicht gar keine. Wir lassen diese Ausnahmen hier mal weg.

Schuld am Fehlverhalten des jeweiligen Fans habe nicht der Verein, sondern nur der Fan selbst, sagt Prof. Walker. Der Verein könne ja nichts dafür, wenn plötzlich jemand auf das Feld renne. Deshalb sei die Geldstrafe gegen den Verein in so einem Fall eine verschuldensunabhängige Strafe, und das verstoße gegen das auch für die Sportverbände geltende Rechtsstaatsprinzip. Bereits an dieser Auffassung kann man so seine Zweifel haben. Vielleicht liegt das Verschulden des Vereins nämlich ganz woanders, z. B. darin, dass er es unterlassen hat, genügend Sicherheitsvorkehrungen gegen randalierende Fans zu ergreifen. So argumentiert regelmäßig der DFB, und er hat wahrscheinlich Recht.

Freiwillige Zahlungen können nicht zurück gefordert werden

Aber die Meinung des Prof. Walker ist in der Welt und ein findiger Rechtsanwalt hat sie einfach mal weiter gedacht: Wenn der DFB gegen die Vereine in solchen Fällen keine Geldstrafen verhängen dürfe, der Verein aber trotzdem zahle, dann tue der Verein das freiwillig. Damit entfiele der Zusammenhang zwischen Zahlung und Fehlverhalten, weshalb der Verein die Strafe in so einem Fall nicht auf den Fan „umlegen“ dürfe.

So ganz überzeugend ist aber auch das nicht. Im Umkehrschluss hieße das nämlich, dass der Verein gezwungen wäre, sich zunächst gegen eine Verbandsstrafe zu wehren; der Fan hätte sozusagen einen Anspruch gegen den Verein, dass der sich erst einmal gegen seinen Verband stellt, bevor der Verein sich an den Fan wendet. Das wäre ein Anspruch des Fans, der auf dessen eigenem Fehlverhalten beruhte, und das klingt reichlich seltsam. Warum sollte demjenigen, der sich daneben benimmt, daraus auch noch ein Anspruch erwachsen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Zivilgericht sich dieser Meinung tatsächlich anschließen würde. Vor dieser Argumentation kann ich nur warnen.

Verteidigungsansätze

Was also kann man tun? Es gibt einige andere viel versprechende Verteidigungsansätze. Ob sie allerdings funktionieren, weiß man nicht. Nur das Oberlandesgericht Rostock hat – im Jahr 2006 – einen solchen Fall entschieden und Fans zur Zahlung verurteilt. Es hat dabei ausdrücklich gesehen, dass bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung existiert und hat die Revision zum Bundesgerichtshof ausdrücklich zugelassen. Die Fans haben diese Möglichkeit seinerzeit nicht genutzt.

In die richtige Richtung weist aus meiner Sicht eine Äußerung, mit der der Sprecher der Fan-Organisation „IG Unsere Kurve“ in der ZEIT ONLINE zitiert wird: „Für einen Verein sind DFB-Strafen zwar schmerzhaft, aber bezahlbar. Für eine Privatperson (sind sie) oft existenzvernichtend“. Das ist zunächst nur eine empörte Feststellung, aber man kann daraus ein rechtliches Argument machen: .

Die Strafen des DFB richten sich ausschließlich gegen Vereine. Fans und Zuschauer sind der Verbandsgerichtsbarkeit gar nicht unterworfen. Daraus resultiert, dass die Höhe der Strafen der Leistungsfähigkeit der Vereine angepasst ist – und die ist im Zeitalter von Millionen-Ablösen in der Tat erheblich höher als die einer durchschnittlichen Privatperson. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – der auch im Zivilrecht seinen Niederschlag findet – sollte man zu dem Ergebnis gelangen, dass Strafen zumindest nicht in voller Höhe auf den Fan umgelegt werden können.

Schließlich hat der DFB ja auch den Verein bestraft, weil er ihn zumindest für mitschuldig hielt. Hierauf wurde oben hingewiesen. Allerdings widerspricht sich der DFB in seiner Argumentation, wenn er gleichzeitig den Vereinen empfiehlt, sich die Strafen beim Fan wieder zu holen. Juristisch formuliert wäre dies der Einwand des Mitverschuldens, der jedenfalls zu einer Reduzierung der Schadenersatzforderung führen muss.

Fazit

Das Rechtsproblem, ob Vereine ihre Fans bei Verbandsstrafen in Regress nehmen können, ist ungeklärt. Es gibt unterschiedliche Ansätze, sich dagegen zu verteidigen. Ein Fan, der sich einer Zivilklage gegenüber sieht, sollte sich auf jeden Fall gegen die Inanspruchnahme wehren.

 

 

 

 

 

 

Betrug, Rechtsanwalt und Erfolgshonorar

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil vom 25.09.2014 – 4 StR 586/13 – den Freispruch gegen einen ehemaligen Rechtsanwalt aufgehoben. Dem Rechtsanwalt wurde unter anderem Wucher und Betrug zu Lasten seines Mandanten vorgeworfen. Diese Entscheidung enthält einige bedenkenswerte Ausführungen zum Erfolgshonorar, die sowohl für Rechtsanwälte als auch für deren Mandanten von Interesse sein dürften.

Der Tenor des Urteils lautet:

„ § 4a Abs. 2 Nr. 1 RVG begründet kraft Gesetzes eine Garantenstellung des Rechtsanwalts, der vor Abschluss einer Erfolgsvereinbarung seinen Mandanten über die voraussichtliche gesetzliche Vergütung aufzuklären hat.“

Ein Rechtsanwalt, der seinen Mandanten nicht über die gesetzliche Vergütung aufklärt, kann sich danach wegen Betruges, § 263 StGB strafbar machen. Ob dies auch bei Abschluss einer normalen Vergütungsvereinbarung gelten soll, oder nur den Fall der Vereinbarung eines Erfolgshonorars betrifft, lässt sich dem Urteil nicht zweifelsfrei entnehmen. Jedenfalls werden Rechtsanwälte bei Abschluss einer Erfolgshonorarvereinbarung in Zukunft auch in strafrechtlicher Hinsicht besonders vorsichtig sein müssen.

Der zugrunde liegende Fall ist einigermaßen skurril.Der betroffene Mandant war minder begabt an der Grenze zur Betreuungsbedürftigkeit. Die erwähnte Honorarvereinbarung bezog sich auf einen Erbanspruch nach Schweizer Recht in deutlich sechsstelliger Höhe. Nach erfolgreicher Durchsetzung des Erbanspruches hatte sich der Rechtsanwalt zweimal von seinem – jetzt vermögenden – Mandanten erhebliche Geldsummen geliehen. In der Zwischenzeit war dem Rechtsanwalt auch noch wegen Vermögensverfalls die Zulassung entzogen worden. Es gab also reichlich weitere Besonderheiten, auf die ich an dieser Stelle aber nicht näher eingehen möchte.

Rechtlich überzeugt das Urteil mich nicht. Der betroffene Mandant war nämlich mit der Leistung des Rechtsanwaltes noch nicht einmal unzufrieden und auch bereit gewesen, das Honorar zu bezahlen. Nur über die Höhe der gesetzlichen Gebühr hatte der Rechtsanwalt ihn eben nicht aufgeklärt.  Wenn das allein ausreichen soll, um eine Betrugsstrafbarkeit zu begründen, gäbe es kaum mehr ein Geschäft, das nicht irgendwie als Betrug zu qualifizieren wäre.

Man kann bei der Lektüre des Urteils zu dem Eindruck gelangen, dass der BGH zu der umfassenden Überzeugung gekommen war, es bei dem Rechtsanwalt mit einem Halunken zu tun zu haben und bei der Rechtsanwendung deshalb möglicherweise nicht mehr ganz so sauber gearbeitet hat. Der Rechtssicherheit tut das nicht gut. Wie sagt ein Kollege immer: „Bad cases make bad law“.

Wo das Urteil aber nun einmal in der Welt ist, werden Rechtsanwälte und Rechtsuchende damit leben müssen. Im Ergebnis dürfte das allerdings dazu führen, dass noch weniger Erfolghonorare vereinbart werden als ohnehin. Bedenkt man, dass der BGH im selben Urteil einen alternativen Stundensatz von EUR 400,00 offenbar für unbedenklich gehalten hat, verliert das Erfolgshonorar angesichts des Strafbarkeitsrisikos für jeden Rechtsanwalt erheblich an Reiz.

Rechtssuchende, die mit ihrem Rechtsanwalt gerne eine Erfolgshonorarvereinbarung abschließen wollen, werden sich darauf gefasst machen müssen, dass der Rechtsanwalt sich dieses (weitere) Risiko (neben dem eigentlichen Haftungsrisiko) zusätzlich vergüten lässt.

 

Strafanzeige und Strafantrag durch einen Rechtsanwalt

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Zunächst einmal muss man zwischen Strafanzeige und Strafantrag unterscheiden. Wenn Sie wünschen, dass die Polizei einen bestimmten Sachverhalt ermittelt, können Sie Strafanzeige erstatten. Sie tun dies, indem Sie der Polizei den Sachverhalt schildern. Die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft prüft den Sachverhalt dann auf seine strafrechtliche Relevanz und nimmt die Ermittlungen auf. Auf die weiteren Entscheidungen der Ermittlungsbehörden hat der Anzeigeerstatter keinen direkten Einfluss. Insbesondere kann man eine Strafanzeige nicht „zurücknehmen“. Was in der Welt ist, ist in der Welt.

Anders beim Strafantrag: Bestimmte Delikte ermittelt die Polizei nur, wenn der Geschädigte dies ausdrücklich wünscht und ausdrücklich beantragt, der Täter möge strafrechtlich verfolgt werden. Dies betrifft vor allem höchstpersönliche und weniger schwer wiegende Delikte wie Beleidigung oder Körperverletzung. Der wirksame Strafantrag ist bei einigen dieser Delikte sogar Voraussetzung dafür, dass die Polizei überhaupt einschreiten darf. Da der Strafantrag ein formeller Rechtsbehelf ist, kann man ihn jederzeit zurücknehmen. Die Rücknahme des Strafantrags kann z. B. Gegenstand einer zivilrechtlichen Einigung sein.

Wer als Geschädigter einer Straftat Anzeige erstatten oder Strafantrag stellen möchte, sollte dabei allerdings berücksichtigen, dass die Strafverfolgung Dritter dem Geschädigtem keinen direkten Vorteil bringt. Um die Wiedergutmachung eines Schadens zu erreichen empfiehlt sich eher der Zivilrechtsweg, also eine Klage auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld vor dem Zivilgericht.

Ein gleichzeitig eingeleitetes Strafverfahren kann für den Geschädigten allenfalls indirekte Vorteile haben. Manchmal lässt sich durch das Strafverfahren der Druck auf den Gegner erhöhen oder auch im Rahmen des Strafverfahrens eine wirtschaftliche Kompension erreichen, z. B. bei einer Einstellung gegen Geldauflage, § 153a StPO, zugunsten des Geschädigten oder bei Durchführung eines so genannten Adhäsionsverfahrens. Zwingend ist beides allerdings nicht. Das Strafgericht kann es unter Umständen ablehnen, sich mit Ersatzansprüchen des Geschädigten zu beschäftigen und tut dies in der Regel auch.

Dem Grundgesetz lässt sich grundsätzlich kein Anspruch auf Strafverfolgung Dritter entnehmen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss vom 06.10.2014 – 2 BvR 1568/12 – klar gestellt. Die Entscheidung beschäftigt sich mit dem Fall einer Offiziersanwärterin, die im Jahre 2008 auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ ums Leben gekommen war.

Etwas anderes kann danach ausnahmsweise dann gelten, wenn es um erhebliche Straftaten gegen das Leben (Mord, Totschlag), die körperliche Unversehrtheit (Körperverletzung), die sexuelle Selbstbestimmung (alle Sexualstraftaten) oder die Freiheit der Person (Freiheitsberaubung) geht. Das Bundesverfassungsgericht sagt hierzu: Wo der Einzelne nicht in der Lage ist, erhebliche Straftaten gegen seine höchstpersönlichen Rechtsgüter selbst abzuwehren und ein Verzicht auf Strafverfolgung zu einer Erschütterung des Vertrauens in das Gewaltmonopol des Staates sowie einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit und Gewalt führen kann, besteht ein Anspruch auf effektive Strafverfolgung.

Wer sich entscheidet, sich wegen einer Straftat an die Polizei oder die Staatsanwaltschaft zu wenden, sollte sich vorher regelmäßig von einem Rechtsanwalt beraten lassen, der auf Strafrecht spezialisiert ist, sich aber auch im Zivilrecht auskennt.

 

 

 

Was ist eigentlich Kinderpornographie i. S. v. § 184b StGB?

 

§ 184b StGB stellt Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften unter Strafe. Er sieht eine Strafandrohung vor von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren. Die Wortwahl der Vorschrift gibt Anlass zu der Frage, was genau Kinderpornographie ist, und was nicht. Das ist durchaus streitig, denn das Gesetz kennt den Begriff der „Pornographie“ auch andernorts – in § 184 StGBVerbreitung pornographischer Schriften„. Da stellt sich zunächst die Frage, was genau Pornographie eigentlich zu Pornographie macht.

(Erwachsenen-) Pornographie wird allgemein verstanden als „die Vermittlung sexueller Inhalte, die ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielt und dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes überschreitet„.

(Erwachsenen-) Pornographie zeichnet sich danach durch ihren „vergröbernd-reißerischen Charakter“ aus. In der Sprache des Bundesgerichtshofes heißt das: „Pornographisch ist die Darstellunge entpersönlichter sexueller Verhaltensweisen, die die geschlechtleiche Betätigung von personalen und sozialen Sinnbezügen trennt und den Menschen zum bloßen – auswechselbaren – Objekt geschlechtelicher Begierde oder Betätigung macht„. Der Grenzbereich ist wie immer unscharf; für den Hausgebrauch könnte man sagen: Sexdarstellungen nur um ihrer selbst willen sind Pornographie.

Die streitige Frage ist jetzt: Ist das bei Kinderpornographie auch so? Oder liegt die Schwelle zur Pornographie bei Darstellungen von Kindern niedriger?

Das hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 11. Februar 2014 – BGH 1 StR 485/13 – jetzt erstmals entschieden und bejaht. Das Urteil erweitert damit die Anwendung des Begriffes „Kinderpornographie“ erheblich. Dies hat zur Folge, dass wesentlich mehr Verhaltensweisen als bisher unter den Straftatbestand des § 184b StGB fallen werden. Denn der BGH ist der Auffassung, dass es des oben zitierten „vergröbernd-reißerischen Charakters“ der Darstellung bei Kindern nicht bedarf, damit die Darstellung als Pornographie gilt. Die degradierende Wirkung, die sonst Voraussetzung jeder pornographischen Darstellung sei, liege bei der Darstellung von Kindern in aller Regel schon ohne weitere Voraussetzung von vornherein vor. Der Grund für die unterschiedliche Behandlung gegenüber (Erwachsenen-) Pornographie im Sinne des § 184 StGB liege darin, dass § 184b StGB auch die sexuelle Integrität des Kindes schützen solle. Eine „selbstbestimmte Mitwirkung an sexuellen Handlungen“ sei Kindern „per se nicht möglich„.

Ausnahmen gelten laut Bundesgerichtshof nur für solche Bilder, die nicht „auf die Erregung sexueller Reize abzielen„, z. B. Abbildungen in medizinischen Lehrbüchern.

Eine Grauzone dürfte gleichwohl bleiben, insbesondere weil beim so genannten „Posing“ nicht immer eindeutig ist, mit welcher Absicht die Bilder gefertigt wurden. Ob eine Darstellung „überwiegend auf die Erregung sexueller Reize“ abzielt, dürfte im Einzelfall sehr schwer zu beurteilen sein. Hier bieten sich jedenfalls Ansätze für eine Erfolg versprechende Verteidigung.

Auf jeden Fall sollte man sich als Beschuldigter eines Vorwurfes nach § 184b StGB unbedingt durch einen seriösen und erfahrenen Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht verteidigen lassen.

 

 

Fahrradhelm und Mitverschulden

Der Bundesgerichtshof hat am 17. Juni 2014 ein wichtiges Urteil im Haftungsrecht gesprochen. Bisher liegt nur die Pressemitteilung des Gerichts vor.

Es ist der Fall einer Fahrradfahrerin, die durch einen unverschuldeten Unfall erhebliche Kopfverletzungen erlitten hatte. Ganz wichtig dabei ist, dass zwischen der Radfahrerin und der gegnerischen Versicherung unstreitig war, dass der Autofahrer den Unfall verschuldet hatte. Trotzdem war der gegnerische Versicherer hinsichtlich der erlittenen Schäden (nicht hinsichtlich der Verursachung des Unfalls) von 20 % Mitverschulden ausgegangen. Zur Begründung hatte der Versicherer ausgeführt, dass die Radfahrerin keinen Helm getragen habe und dadurch für die erlittenen Verletzungen mitverantwortlich sei.

Das ist nicht zu verwechseln mit einer Helmpflicht – die Helmpflicht gab und gibt es nicht. Der Versicherer war aber der Meinung, es wirke sich anspruchsmindernd aus, wenn man diese Sicherheitsvorkehrungen außer acht ließe. Dabei ist rechtlich grundsätzlich unumstritten, dass ein Mitverschulden auch durch Verhaltensweisen begründet werden kann, die an sich nicht verboten sind. Die Frage war im konkreten Fall, ob ein Radfahrer ohne Helm, „diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt.“

Das Landgericht Flensburg und das Oberlandesgericht Schleswig hatten dieser Auffassung in den Vorinstanzen Recht gegeben. Der BGH hat diese Urteile mit seiner jetzt vorliegenden Entscheidung aufgehoben. Der Geschädigten wurde Schadenersatz und Schmerzensgeld in voller Höhe zugesprochen.

Können Fahrradfahrer jetzt also beruhigt ohne Helm fahren? Das kann man so wohl nicht bejahen. Denn der Bundesgerichtshof hat wie immer nur den Einzelfall aus dem Jahr 2011 entschieden. Zu diesem Zeitpunkt – so der BGH – sei ein Fahrradhelm nach der allgemeinen Verkehrsanschauung zum eigenen Schutz nicht erforderlich gewesen. Nur 11 % der Verkehrsteilnehmer hätten seinerzeit einen Helm getragen.

Für heutige Fahrradfahrer heißt das auf jeden Fall, dass sie sich nicht sicher sein können, dass auch ein Fall aus dem Jahre 2014 genauso entschieden werden würde. Denn die Verkehrsanschauung mag sich mittlerweile geändert haben. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH in seiner schriftlichen Begründung hierzu Hinweise gibt. Die Presseerklärung erzeugt  bisher jedenfalls eher Rechtsunsicherheit anstatt Rechtssicherheit.

Das Perfide an der Begründung ist nämlich, dass sich aufgrund der jetzt aufgehobenen Urteile möglicherweise eine Handlungsspirale in Gang gesetzt hat: Es liegt nahe, dass die – in der Öffentlichkeit breit diskutierten – Urteile bereits dazu geführt haben, dass ein wesentlicher höherer Anteil der Fahrradfahrer einen Helm trägt – nicht aus Sicherheitsgründen, sondern aus Angst, im Falle einer Unfallverletzung ein Mitverschulden angehängt zu bekommen. Trotzdem könnte ein Gericht aus dem prozentualen Anstieg der Helmträger jetzt den Rückschluss ziehen, die Verkehrsanschauung hätte sich mittlerweile geändert – Ein Zirkelschluss.

Da hat der Bundesgerichtshof den heutigen Fahrradfahren möglicherweise einen Bärendienst erwiesen, indem es den Prozentsatz der Helmträger am Straßenverkehr zu seiner Begründung herangezogen hat.

Es ist also zu erwarten, dass ein vergleichbarer Fall demnächst wieder die Instanzen durchlaufen und beim Bundesgerichtshof landen wird.

 

 

 

 

 

 

 

Totschlag (§ 212 StGB), Sterbehilfe und Katzenkönig

TTotschlag oder Sterbehilfe?Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat den ehemaligen Justizsenator Dr. Roger Kusch wegen Totschlags in zwei Fällen angeklagt. Die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft vom 12.05.2014 findet sich hier.

Roger Kusch soll als Vorsitzender eines Vereins für „Sterbehilfe“ gemeinsam mit einem mitangeklagten Mediziner am Tod zweier älterer Damen mitgewirkt haben. Angeblich hätten die Angeschuldigten – so heißen Angeklagte in der Sprache der StPO bevor das Gericht die Anklage zugelassen hat – einen Präzedenzfall der Sterbebegleitung in Deutschland schaffen wollen. Das scheint gründlich schief gegangen zu sein.

Denn mit einer Anklage wegen Totschlags (Mindesstrafandrohung: Fünf Jahre Freiheitsstrafe) hatte wohl niemand gerechnet. Die von der Staatsanwaltschaft Hamburg gewählte Konstruktion ist wagemutig und manchem Nichtjuristen sicherlich kaum mehr verständlich zu machen: Angeklagt ist Totschlag in mittelbarer Täterschaft, also keine eigenhändige Tat, sondern die fremdgesteuerte Tat eines Dritten. Dieser Dritte sollen die Opfer selbst gewesen sein. Fremdgesteuert seien die Opfer gewesen, weil die Angeschuldigten sie im Unklaren über die Auswirkungen ihres Tuns gelassen hätten. Der Bundesgerichtshof hat hierfür vor längerer Zeit den schönen Begriff der „Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens“ geschaffen.

Jeder Jurastudent kennt diese Konstruktion in Form eines einzigen bekannt gewordenen Falles aus den fünfziger Jahren, dem so genannten „Katzenkönig“-Fall. Der Fall ist so skurril, dass er sogar einen eigenen Wikipediaeintrag hat. Lesen lohnt sich! Aus der jetzigen Juristengeneration dürfte es allerdings niemanden geben, der einen vergleichbaren Fall schon einmal erlebt hat. Jetzt ist es vielleicht wieder soweit.

Ob das Konstrukt der Staatsanwaltschaft da allerdings wirklich passt, mag man bezweifeln. Vorweg mal eines: Mit Sterbehilfe hat das ganze recht wenig zu tun. Das, was üblicherweise unter dem Begriff „Sterbehilfe“ diskutiert wird, ist etwas völlig anderes. Bei der Sterbehilfe-Diskussion geht es regelmäßig um die Frage, inwieweit man totgeweihten Schwerstkranken den Wunsch nach dem Tod erfüllen darf; sei es aktiv – das ist verboten – sei es passiv. Passive Sterbehilfe ist dabei unter Umständen erlaubt, soweit sie vom freien Willen der Betroffenen gedeckt ist.

Darum geht es im aktuellen Fall aber eben nicht, denn von Totkranken ist hier nirgends die Rede. Stattdessen geht es um zwei angeblich „geistig und körperlich rege“ ältere Damen, die „sozial gut eingebunden“ gewesen seien, gleichwohl aber nicht mehr so recht hatten leben wollten. Darf man denen bei der Selbstötung helfen?

An dieser Stelle könnte man eine ethische Diskussion starten, denn rechtlich ist es so: Selbstötung ist straffrei. Bei vollendeter Tat ist der Täter tot. Die Straffreiheit der Selbsttötung führt nach der strafrechtlichen Dogmatik aber zwingend dazu, dass auch die Beihilfe zur Selbsttötung straflos sein muss. Wo es keine Hauptat gibt, kann es auch keine Beihilfe geben. Eigentlich ganz einfach.

Deshalb muss die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage auf die wacklige Konstruktion der mittelbaren Täterschaft zurückgreifen. Die setzt aber voraus, dass das Opfer ein „Werkzeug“ war, „willenlos“. Hier liegt das eigentliche und einzige Problem des Falles, dessen Lösung Sterbewilligen aller Couleur keinen Deut weiterhelfen wird. Die Frage, die dahintersteckt, ist nämlich: Waren die beiden „Opfer“ wirklich sterbewillig? War ihre Entscheidung „wohlerwogen“? Wann ist eine Entscheidung zur Selbsttötung überhaupt wohlerwogen? Das wird das Schwurgericht in Rahmen einer Beweisaufnahme zu klären haben. Ob und wie es das tun wird, bleibt abzuwarten.

Die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift scheint es sich einfach zu machen: Sie behauptet, die Angeschuldigten hätten den „Opfern*“ suggeriert, dass deren Entscheidung „durchdacht und ohne Alternative“ wäre. Da wird die Staatsanwaltschaft dem Schwurgericht erklären müssen, was ihrer Ansicht nach die nicht durchdachte Alternative zur Selbsttötung gewesen sein soll. Als Alternative zum Tod kommt ja eigentlich nur das Leben in Betracht. Aber welchen Irrtum über das Leben sollen die „Opfer“ hier unterlegen gewesen sein? Dass das Leben doch viel schöner ist als gedacht? Das Alter doch nicht so schlimm? Dieser Fall wird uns möglicherweise ein Urteil bescheren, dessen Auswirkungen noch niemand ermessen kann und die keiner gewollt haben kann.

Nutzen dürfte das Urteil niemandem, insbesondere nicht den Schwerstkranken in den Krankenhäusern, Hospizen und Pflegestationen.

Sexting und § 184 StGB

Wenn Sie eine Vorladung oder Anhörung der Polizei wegen Verbreitung pornographischer Schriften, § 184 StGB, bekommen haben, wissen Sie vielleicht zunächst gar nicht warum. Dies ist eines der Delikte, deren Verfolgung in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben. Unter diesen Tatbestand fallen viele Verhaltensweisen, die durch die Verbreitung des Internets und des Smartphones überhaupt erst möglich geworden sind. Man lese hierzu beispielsweise den Beitrag „Erregung im Schattenreich“ in der Ausgabe 15/2014 des „Spiegel“.

Eine dieser Verhaltensweisen ist das so genannte „Sexting“. Jemand fertigt z. B. mittels eines Smartphones pornographische Bilder oder Filme von sich selbst und verschickt diese dann an ausgewählte Personen. Das mag für beide sexuell erregend sein, solange der Empfänger damit einverstanden ist. Ist der Empfänger allerdings nicht damit einverstanden, kann es strafrechtlich relevant werden. Die Anzahl insbesondere derjenigen Frauen, die sich von dieser Form der Anmache eher abgestoßen oder gar beleidigt fühlt, nimmt nämlich rasant zu. Bei vielen liegt der Gedanke nahe, dem Treiben durch eine Strafanzeige bei der Polizei ein Ende zu setzen. Was folgt, ist eigentlich immer ein Strafverfahren – eben wegen der Verbreitung pornographischer Schriften.

Diese Vorschrift umfasste bei ihrer Einfügung zunächst tatsächlich nur Schriften im eigentlichen Sinne, aber vorsicht: Den Schriften stehen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen gleich, § 11 Abs. 3 StGB.

Ist man einmal Beschuldigter in einem solchen Verfahren, gibt es zwar eine Reihe von Verteidigungsansätzen, man sollte sich aber auch hier davor hüten, selbst und ohne anwaltliche Beratung tätig zu werden. In fast allen Fällen liegt dem Ermittlungsverfahren die Strafanzeige zugrunde, von der sie nicht wissen, was darin steht. Immer wieder gibt es auch Beschuldigte, die ihre Photos stolz an eine ganzen Reihe von Empfänger(innen) geschickt haben und gar nicht sicher wissen, welcher Fall eigentlich Gegenstand der Ermittlungen ist. Bei Akteneinsicht wundert sich dann mancher, wer von seinen Angebeteten da plötzlich polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen hat.

Doppelt dumm, wer da durch eine vorschnelle eigene Erklärung die Polizei erst auf die Spur weiterer Geschädigter bringt.

Nicht zu unterschätzen ist auch die zivilrechtliche Seite dieses Tuns: Der Geschädigte hat praktisch immer eine Unterlassungsanspruch gegen denjenigen, der unverlangt explite Bilder von sich verschickt hat. Beauftragt der Geschädigte einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung seiner Ansprüche, hat man doppelt Ärger, den man nur abwehren kann, indem man selbst einen Rechtsanwalt oder Strafverteidiger beauftragt.

Erstaunlich hoch ist übrigens die Anzahl derjenigen, die behaupten, sich beim Versand der Bilder schlicht bei der Adresse des Empfängers geirrt zu haben. Was für Mausi gedacht war, hat eben versehentlich Maren bekommen. Das liegt zwar nahe, ob Polizei und Staatsanwaltschaft es allerdings jedem auch abnehmen, ist eine andere Frage.

Es lohnt sich – übrigens auch wirtschaftlich –  einen versierten Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht zu konsultieren.